Seltsame Wege

Veröffentlicht auf von Ghost

„Was machst du heute noch?“
„Nichts.“
„Das geht nicht. Irgend etwas macht man immer und wenn es nur Schlafen ist."
„Will zum See.“
„Schwimmen? Ist doch viel zu kalt.“
„Mal sehn.“
„Dir geht es nicht gut?“
„Nein.“
„Habe ich schon gemerkt. Du bist so wortkarg. Möchtest du reden? Ich kann gut zuhören.“
„Zu spät.“
„Das verstehe ich nicht. Reden kann man doch immer.“
„Irrtum.“
„Na gut, dann geh baden. Die Sonne wird deinem Gemüt gut tun. Sieht man sich mal wieder hier?“
...Schweigen ... keine Antwort...


Er sitzt vor dem PC. Die Nachrichten der anderen wandern über den Schirm, erscheinen unten und verschwinden oben. Nur Todesfee schreibt nicht mehr. Sie war komisch heute. Schweigsam, still und so gar nicht zugänglich. Und er, Eisengel, schweigt. Eisige Stimmung mach sich in ihm breit. Mit ihr stimmt etwas nicht. Was machte sie gerade? Soll er sie suchen?
Fast automatisch geht der Griff zu einem gerahmten Foto. Sie hatte es nur für ihn machen lassen. Das sagte sie jedenfalls. Aber mehr weiß er nicht von ihr. Nur, dass es ihr heute nicht gut ging. Aber warum nur?


Sie macht den PC aus. Mit roten Augen sieht sie sich in der Wohnung um. Ihr Mann war nicht körperlich anwesend. Trotzdem war er gegenwärtig. Spürte sie doch überdeutlich die Spuren seines Ausbruchs. Die Striemen auf ihrem Rücken spannten. Die blauen Flecken auf den Armen taten bei jeder Bewegung weh.


Langsam stand sie auf, mit Bewegungen einer alter Frau verlies sie das Haus. Das Auto wartete bereits. Ihr Auto. Das einzige, was ihr Mann ihr noch gelassen hatte. Es sollte sie zum See bringen. Sie wollte schwimmen, aber nicht so, wie es der Eisengel definieren würde. Anders, so wie sie es für richtig hielt.


Kein zeit für Fragen, keine Zeit zu zögern. Er muss los. Die Pflicht ruft. Er muss zum Dienst. Das Krankenhaus ruft. Noch mehr Leid und Tränen. Er muss helfen. Doch dort, wo er helfen möchte ist es ihm nicht möglich.
Den ganzen Arbeitsweg sind seine Gedanken bei ihr. Wo ist sie gerade? Ist sie auf dem Weg zu ihm? Hat sie seinen Schichtplan noch? Wie soll es weiter gehen? Wie kommt er an sie ran? Fühlt sie auch wie er?


Am See ist nicht viel los. Sie ist froh darüber. Gut für ihr Vorhaben weniger aufmerksame Augen steigern das Gelingen ihres Vorhabens.
Noch einmal legt sie sich in die Sonne und schließt die Augen. Das letzte mal ist so lang her. Damals bekam sie einen Sonnenstich. Sie wollt sich ihrem Mann nicht hingeben und er schlug zu. Einfach so. Eigentlich ohne Grund. Nur weil sie Kopfschmerzen hatte. Nein, er verwundete sie stark und im Krankenhaus durfte sie nichts sagen.
Und dann die Schwangerschaft. Er hat ihr das Kind nicht gelassen. Er besorgte den Termin zur Abtreibung. Ob sie das wollte war egal. Das Kind war nicht mehr. Weg. Einfach so im Mülleiner. Die Kinderschuhe blieben in der Verpackung. Und dort sollten sich auch bleiben. Langsam dahinrottend in ihrem Grab. Im Garten neben ihrer Katze, die er auch auf dem Gewissen hatte.
Warum die Schläge dieses mal? Sie wusste es nicht. Um so mehr taten ihr die Wunden weh.
Langsam vom Leben abschied nehmend stand sie auf und ging auf das Wasser zu. Die Sonne spiegelte sich. Sie malte ihr den Weg zum Himmel. Den, den sie jetzt nehmen wollte.
Das Wasser war kalt. Doch das störte sie nicht.
Es wurde schnell tiefer, das fand sie gut und lief weiter.
Das Wasser schloss sich über ihr wieder und alle Gedanken wichen aus ihr. Keine bösen Erinnerungen mehr.


Es hat nicht sollen sein. Man hatte sie beobachtet. Man wollte sie nicht sterben lassen. So wachte sie auf. Das Zimmer war ihr fremd. Die Sachen die sie trug auch.
Langsam wurde sie sich der Gegenwart des Mannes bewusst. Er sah sie an. Einfach nur so.
Sie drehte den Kopf. Sie wollte schreien, da sie ihren Mann vermutete. Doch er war es nicht.
„Was machst du für Sachen, Todesfee?“ Und ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich wollte dich finden. Den ganzen Nachmittag waren meine Gedanken bei dir. Sie haben dich zu mir gebracht.“
Sie sah ihn an und sagte nichts. Mit ängstlichen Augen beobachtete sie die Tür.
„Sollen wir jemandem bescheid sagen?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Derjenige der es wissen sollte ist bei mir.“
Sie sahen sich an, ihre Hände fanden einander und die Welt war wieder in Ordnung. Diese Hände würden ihr helfen das Kommende zu meistern.

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R
Das ist eine traurige und zugleich schöne Geschichte mit Happy End.... ohne das Bild hätte er sie wohl nicht erkannt..Lieber Gruß Regina
Antworten
G
<br /> ja, die ist mir mal eingefallen, als ich scheise drauf war. Auch das ein Werk nach dem Motto: sich die Scheise von der Seele schreiben.<br /> <br /> <br />